Ahrensburger Missbrauchsfälle: Sexuelle Revolution frisst Kinder

Zwischenbericht der Expertenkommission zu Übergriffen in der Nordkirche: Täter hätten sich unter der Maske der Fortschrittlichkeit an Jugendliche herangemacht.

Zufrieden mit der Arbeit der Kommission: Bischöfin Kristen Fehrs. Bild: dpa

HAMBURG taz | Die Expertenkommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Nordkirche hat die bisher bekannt gewordenen Fälle bestätigt. Das geht aus dem ersten Bericht hervor, den die Kommission kürzlich vorgelegt hat. Die Täter hätten „unter dem Deckmantel einer fortschrittlichen Sexualität und unter Ausnutzung der emotionalen Bedürftigkeit junger Menschen“ deren sexuelle Ausbeutung betrieben.

Die Nordkirche hatte die Kommission unabhängiger Experten im September einberufen – zwei Jahre nachdem der erste Missbrauchsfall in einer Ahrensburger Kirchengemeinde bekannt geworden war. Der pensionierte Pfarrer Dieter K. soll dort in den 1970er und 1980er Jahren mehrere Jugendliche sexuell missbraucht haben, darunter seine drei Stiefsöhne.

Die Expertenkommission hat bisher sechs Missbrauchsopfer interviewt und Unterlagen ausgewertet. Dabei stellte sie Fehlverhalten fest, das teilweise als „strategische Vorbereitung sexuellen Missbrauchs“ zu bewerten sei. K. und sein Kollege hätten ihre Machtposition missbraucht, „indem sie mit dem Angebot extrem großer Mengen von Alkohol ein Klima von Liberalität suggerierten und so die Widerstandsfähigkeit der Mädchen und Jungen schwächten“. Sie hätten typische Konflikte mit den Eltern verschärft, um das Risiko, erwischt zu werden, zu minimieren und „Psychospiele“ genutzt, um die Abwehr der jungen Menschen zu schwächen.

Um zu vermeiden, dass Ähnliches wieder geschieht, empfiehlt die Kommission der Kirche, stets externe Fachleute hinzuzuziehen, sollte der Verdacht eines sexuellen Missbrauchs auftauchen. Als fatal habe sich die Verquickung von Seelsorge und Personalverantwortung erwiesen. Die Kirche solle „Regelungen zur Abgrenzung seelsorgerischer und anderer Gespräche entwickeln“ und klären, wann die seelsorgerische Schweigepflicht hinter dem Schutz von Kindern und Jugendlichen zurückzustehen habe.

Bischöfin Kerstin Fehrs lobte die Arbeit der Kommission. „Es gibt einen Reflex des nicht wahrhaben Wollens“ bescheinigte sie ihrer Kirche, bei der Vorstellung des Berichts. Das solle sich in Zukunft ändern.

1999 informiert eine Frau die Pröpstin Heide Emse, sie und andere Jugendliche seien in Ahrensburg sexuell missbraucht worden.

Emse versetzt den Pfarrer in die Gefängnisseelsorge, wo er wieder mit Jugendlichen zu tun hatte, und nach einem erneuten Protest 2001 in den Ruhestand. Der Vorfall blieb unter der Decke.

2010 erhält die Bischöfin Maria Jepsen eine Hinweis auf den Fall und bringt die Ermittlungen ins Rollen. Weil sie den Verdacht nicht ausräumen kann, sie habe den Fall schon früher gekannt, aber ignoriert, tritt sie zurück.

Anselm Kohn vom Verein „Missbrauch in Ahrensburg“ hofft, dass sich nicht nur Betroffene, sondern auch Zeugen aus dem kirchlichen Apparat bei der Kommission melden, „damit ein Gesamtbild entsteht, wie diese Täterstrategie aussah“. Von der Kirche erwartet er nicht nur eine moralische, sondern auch eine materielle Wiedergutmachung. „Es geht auch darum, eine Anerkennungsleistung zu beziffern“, sagt er der taz.

Den Verein will er am 22. Juni auflösen. Dieser habe seinen Zweck erfüllt und berge die Gefahr, dass die Mitglieder über die Leidensgeschichten irgendwelcher Leute bestimmen könnten.

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